Zum Zyklus der Chladnischen Klangfiguren von Philippe Deléglise Bernhard von Waldkirch, in Jahresbericht Zürcher Kunstgesellschaft 2015

Erschienen im April 2016

Die Werkgruppe von Philippe Deléglise, die wir in diesem Beitrag näher ins Auge fassen, bewegt sich im Spannungsfeld von wissenschaftlichem Experiment und künstlerischem Ausdruck. Eines seiner bevorzugten künstlerischen Medien ist die Druckgrafik, genauer gesagt, die Aquatinta, die er virtuos beherrscht. In den späten 1990er Jahren begann er sich für die Chladnischen Klangfiguren zu interessieren. Ernst Florens Friedrich Chladni (1756-1827) war ein deutscher Physiker und Astronom, der mit seinen Arbeiten die Akustik begründete. Wegweisend wurden seine Erkenntnisse, dass auf mit Sand bestreute Metallplatten, wenn sie mit einem Geigenbogen in Schwingung versetzt werden, symmetrische Muster von Knotenlinien sichtbar werden. Deléglise hat dieses wissenschaftliche Experiment in das Medium der Künstlergraphik übertragen und zum Ausgangspunkt einer Reihe von spekulativen Fragen über das Verhältnis von Form, Bewegungsrhythmus und Resonanz gemacht.

In seinem Zyklus der Chladnischen Klangfiguren, die er zwischen 2001 und 2007 in sechs Mappen mit insgesamt 34 Blättern in Aquatinta realisierte, griff er die Versuchsanordnung mit den vibrierenden Metallplatten wieder auf und führte sie in verschiedenen Etappen von einfachsten Klangfiguren durch Steigerung der Komplexität zu letzten verdichteten Resonanzerfahrungen. In der ersten Serie „Poussières, tombeau de Chladni, I-V“ von 2001 wurden fünf mit Colophonium bestäubte Stahlplatten unterschiedlichen Formats mittels des Geigenbogens einer Bratsche in Schwingung versetzt. Die „Zeichnung“ der auf der Oberfläche der Platte sichtbar gewordenen Klangfiguren hängt von den Berührungspunkten und der Intensität des Geigenstrichs, der Stärke und dem Format der Platte ab. Erst nach mehreren Versuchen begannen sich die gewünschten Schleifen und Bänder deutlicher abzuzeichnen. Als Konstanten nisteten sich im Gegenzug eine gewisse Unschärfe sowie eine partielle Unkontrollierbarkeit des Resultats ein, was aber nicht
bedeutet, dass die Idee vom Zufall regiert wird.

Nach dieser ersten Mappe folgten nun in fast jährlichem Abstand fünf weitere: „Impressions, I-VI, 2002, „Interférences, I-VIII“, 2003, (die ersten drei Mappen sind in der Grafischen Sammlung vollständig vorhanden)„Klang, I-VII“, 2005, „Terzett, I-II“, 2006 und „Triade, I-VI“, 2007. Während auf den Blättern der ersten Mappe die Linien sich hell vom schwarzem Grund abhoben, wählte Deleglise in den drei folgenden Serien ein Verfahren, das es ihm erlaubte, mit dunklen Linien auf hellem Grund zu arbeiten. In „Terzett“ und „Triade“ gelang es ihm, durch drei übereinander gedruckte farbige Platten einen Tiefenraum von vibrierender Einheitlichkeit zu evozieren.

Kehren wir noch einen Moment zur zweiten und dritten Mappe zurück. Für „Impressions“ verwendete Deléglise Kupferplatten von gleichem Format, die er an einen Generator von Sinuswellen anschloss. Während einerseits das Experimentieren mit Maschine und bestäubter Platte kontrollierbarer wurde, liess sich andererseits die Komplexität der Variationen steigern. Dies gilt in besonderem Mass für die Mappe „Interférences“. Hier arbeitete der Künstler mit zwei Generatoren, so dass die erste Welle von einer zweiten verzerrt oder partiell ausgelöscht wurde. Damit verliess Deléglise das Feld der Chladnischen Versuchsanordnung und begab sich auf ungesichertes künstlerisches Terrain. Vor unseren Augen breitet sich ein Klangteppich aus, bei dem die Bildfläche, die Linien und der Raum ihre alte Feindschaft ablegen und miteinander unerhört dichte, rhythmisch belebte Bewegungsmuster erzeugen. «Le plan me fait face », schreibt Philippe Sers in Bezug auf diesen Zyklus und sein immanentes Resonanzpotenzial, « il est comme un être vivant dont la rencontre nourrit ma connaissance intime du monde. »

Bernhard von Waldkirch

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Literatur und Künstlergespräche:

« Philippe Deléglise. Figures de Chladni », mit Texten von Christian Rümelin, Philippe Sers und Serge Margel, art&fiction publications, 2014. (Der Schlusssatz von P. Sers übersetzt: «Die Bildfläche schaut mich an, sie ist wie ein Lebewesen, durch dessen Begegnung mein innerstes Verständnis der Welt genährt wird. »)

Friedrich Cramer, «Symphonie des Lebendigen. Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie», Frankfurt am Main 1996.

Gespräche mit dem Künstler in Moutier, anlässlich seiner Ausstellung «Philippe Deléglise: Figures du son; Jacqueline Oyex», Musée jurassien des Arts Moutier, 8.3.-24.5.2015, und in Genf in der Galerie Anton Meier, Ausstellung «Hommage» [au galeriste Michel Foëx], September 2015.

Bildlegende :

Philippe Deléglise (*1952)
Tombeau de Chladni IV, 2001
Aus dem Portfolio « Poussières, tombeau de Chladni »
Aquatinta auf Velin-Papier
76,5 X 57 cm
Gr.Inv.2015/1d